Nachbericht IASPM D-A-CH/GfPM-Tagung Wien 2022

5. IASPM-D-A-CH-Konferenz || 32. GFPM-Tagung

PARALLELGESELLSCHAFTEN
Effekte struktureller Mehrgleisigkeit auf populäre Musik, ihre Erforschung und Vermittlung

PARALLEL SOCIETIES
Effects of Structural Juxtapositions on Popular Music, Its Research and Mediation

Vom 20.–22.Oktober 2022 war die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Österreich, Gastgeberin der fünften biennalen IASPM D-A-CH Konferenz. Die Konferenz wurde erstmals gemeinsam mit der Gesellschaft für Popularmusikforschung (GFPM) abgehalten. Die Organisation lag bei Sarah Chaker und Michael Huber  (Institut für Musiksoziologie). Nach Jahren der Online-Konferenzen fand die Veranstaltung mit dem Titel "Parallelgesellschaften: Effekte struktureller Mehrgleisigkeit auf populäre Musik, ihre Erforschung und Vermittlung" in Anwesenheit von 148 internationalen Musikforscher*innen statt. Hyojung Suns erste Keynote über "Parallel Worlds of Music Streaming" und David Hesmondhalghs zweite Keynote über "Music Recommender Systems" eröffneten die dreitägige Konferenz. Die dritte Keynote von Moritz Ege mit dem Titel "Pop Versus the People" war ein weiterer Höhepunkt der Konferenz. Podiumsdiskussionen, viele inspirierende Vorträge, die Vorstellung des neuen VIBES-Bandes und ein reichhaltiges Rahmenprogramm machten die Wiener Konferenz zu einem unvergesslichen Erlebnis für alle Teilnehmenden.

Book of Abstracts: Konferenz Parallelgesellschaften

Workshop #metoo in academia

Credits: Rainer Prokop

Im Frühjahr dieses Jahres wurde im Kontext der Veröffentlichung und anschließenden Löschung eines Posts in der Facebook-Gruppe der IASPM eine Problematik sichtbar, die nach wie vor tabuisiert, wenn nicht sogar systematisch verschleiert wird: #metoo in academia. Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt finden nicht etwa in Parallelwelten statt, sondern geschehen inmitten eines (Wissenschafts-)Systems, das toxische Machtverhältnisse schafft, reproduziert und manifestiert. Die Popular Music Studies stellen hierbei keine Ausnahmen dar. Im Rahmen der gemeinsamen Tagung von IASPM D-A-CH und der GFPM organisierten Lea Jung, Melanie Ptatscheck, Monika Schoop und Svenja Reiner deshalb am 21.10.2022 einen Workshop, der sich kritisch mit Machtstrukturen und Grenzüberschreitungen auseinandersetzte.

Ausgehend von Impulsen der Organisator*innen, die die Bandbreite von Fällen sexualisierter Gewalt im Bereich der Popular Music Studies aufzeigten, reflektierten die ca. 40 Teilnehmenden in Kleingruppen eigene Erfarungen. In den Diskussionen wurde deutlich, dass viele in beruflichen, aber auch alltäglichen Kontexten selbst sexualisierte Gewalt beobachtet oder selbst erlebt haben. Im Anschluss wurden Handlungsoptionen und Visionen für ein Aufbrechen kritischer Machtstrukturen und zur Prävention sexualisierter Gewalt formuliert. Deutlich wurde der Wunsch nach einer Fachkultur, die einen wertschätzenden Umgang pflegt. Auf einer individuellen Ebene sollte Selbstreflexivität geschult und die eigene Positioniertheit kritisch reflektiert werden. Insbesondere an die Gruppe der Professor*innen wurde die Aufforderung gerichtet, dass sie, wenn sie Machtmissbrauch beobachten, Position beziehen und intervenieren. Zudem äußerten die Teilnehmenden den Wunsch nach Weiterbildungen zum Thema Antidiskriminierung, mit besonderem Blick auf die Verbindung von Theorie und Praxis. An dieser Stelle könnte auch Unterstützung von den Universitäten gefordert werden. Auch die Rolle von Fachgesellschaften, wie IASPM D-A-CH und der GFPM, wurde hervorgehoben. Neben der Implementierung eines Code of Conducts forderten die Teilnehmenden von den Fachgesellschaften, bei zukünftigen Tagungen durch neue Veranstaltungs-Formate Machtverhältnisse aufzubrechen und externe Awareness-Personen einzubinden. Auch weitere Workshops zu sexualisierter Gewalt und Antidiskriminierung im Rahmen von Tagungen wurden gewünscht. Hier wurde jedoch auch darauf hingewiesen, dass diese zukünftig ohne parallele Sessions stattfinden sollten. Im Rahmen des Workshops wurde außerdem die Reproduktion kompetitiver Strukturen kritisch hervorgehoben. Mit Blick auf die Situation von Early Career Forschenden wurde hier angeregt, Nachwuchspreise zu überdenken und diese in eine flächendeckende Förderung umzuwandeln. Letztlich wurde deutlich, dass eine Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen Fachgesellschaften und Institutionen hilfreich ist. Die Vision einer dauerhaften Ansprechstelle, nach Beispiel der Ombudsstelle der Österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft, ließe sich jedoch nicht alleine von IASPM D-A-CH und der GFPM realisieren und bedarf einer weiteren Vernetzung und Kooperationen.

Maria Hanáček Award

Credits: Rainer Prokop

Vorstand, Beirat und Steuerungsboard der Tagung haben nach sorgfältiger Überlegung beschlossen, auch 2022 mit dem Maria Hanáček Award den besten Tagungsvortrag eine*r Doktorand*in zu würdigen. Im Juni 2022 lud Steffen Just IASPM-D-A-CH-Mitglieder ein, sich in der Jury zu engagieren. Nach Auswahl der Konferenzbeiträge informierte Sarah Chaker potenzielle Kandidat*innen über ihre Kandidatur und die Option, sich davon zurückzuziehen. Im Juli konstituierte sich die Jury. Sie konferierte mehrmals über mögliche Botschaften des Preises und Begutachtungskriterien. Letztere sandte Jury-Leiterin Stefanie Alisch am 2. Oktober den Kandidat*innen. Kompetenzen und mögliche Befangenheiten berücksichtigend evaluierten Jury-Mitglieder im Laufe der Tagung ausgewählte Beiträge. In abschließender Runde situierten sie die Einzelevaluationen in der Gesamtschau. Nach Punkten ganz klar vorn lag Christopher Klauke (MPI für Wissenschaftsgeschichte, Berlin) mit seinem Vortrag "Between Music-Anthropological Research and Culture Regulation. Cybernetic Investigations of Popular Music in the GDR 1957-1970". Da der Preisträger zum Zeitpunkt der Preisverkündung bereits aus Wien abgereist war, überreichte ihm die Juryleitung Urkunde und Preisgeschenke am 28.10.2022 in Berlin.

Mehr zur Preisübergabe hier sowie auf der Seite des Max-Planck-Institutes (MPI) für Wissenschaftsgeschichte hier.

Weitere Eindrücke der Tagung finden sich im Veranstaltungsarchiv der mdw hier.